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Teresa Gleiniger

Intensität, das Cello und ich: Auf der Suche



© Quarterl1fe

Ich wollte schon lange Cello studieren. Es war ein Traum von mir, doch nach dem Abitur gab es erstmal nur Schmerz und Dunkelheit. Migräne ist eine fiese Krankheit, die einfach plötzlich ganz präsent in meinem Leben war. Kann ich mit Migräne Cello studieren? Ist das möglich? Diese Frage traute ich mich erst nicht, zu stellen. Doch die Musik hat einen Stellenwert in meinem Leben, den sie als Hobby nebenbei nicht ausfüllen kann. Also kehrte die Frage immer wieder zu mir zurück.

Ich beschloss, dass ich die Antwort nur herausfinden kann, indem ich es versuche. Hinein ins Ungewisse, ohne andere Musiker mit Migräne als Vorbilder, finde ich Tag für Tag Wege, damit es funktionieren kann. Und ich finde auch heraus, was nicht funktionieren kann. Try and Error, immer wieder neu. Strukturen schaffen, in denen ich mich frei entfalten kann. Menschen finden, die mich auf meinem Weg unterstützen. Lernen, meine Entscheidungen bewusst zu treffen.


Wir haben ein besonderes Konzert geplant. „Listen and Feel – Bringen Sie eine Yogamatte mit und genießen Sie das Konzert im Liegen.“ Auf dem Programm: Johann Sebastian Bachs Cellosuiten, ausgewählte Sätze aufgeteilt auf sieben Studierende. Die Vorbereitung innerhalb kurzer Zeit war intensiv, meine drei Sätze aus der Suite Nr. 2 d-moll so nah an mein Herz gebaut, dass ich das Gefühl hatte, dieser kunstvollen, erhabenen Musik niemals gerecht werden zu können. Die letzten beiden Tage vor dem Konzert holte ich nochmal alles aus meinen Fähigkeiten heraus und fühlte mich gut vorbereitet.


Am Konzerttag dann eine große Ernüchterung: Ich habe meine Regel bekommen. Das bedeutet für mich normalerweise: Bettruhe mit Wärmflasche und Schmerzmitteln. Gegen den Körper pushen ist in dieser Zeit eigentlich nicht möglich und kann den nächsten Migräneanfall auslösen.

Doch ich weiß auch: Dieses Konzert ist mir so wichtig, dass die Enttäuschung darüber, nicht mitzuspielen, größer wäre als die Schmerzen, die es auslösen kann. Ob es wirklich schlimm werden würde, weiß ich ja auch nicht, also könnte ich das Schicksal herausfordern.

Das Ergebnis meiner Entscheidung wäre in jedem Fall ein Tief, körperlich oder mental – und vielleicht kommt bei der einen Entscheidung ja auch noch ein Hoch dazu.


Auf meiner eigenen Yogamatte liege ich herum, während meine Kommilitonen den Saal für das Konzert vorbereiten. Ich habe gar keine Kraft, ich liege und liege dort nur und stelle mir selbst tausend Fragen.

Ich beschließe: Ich spiele das Konzert, und sollte es mir schlecht gehen, lasse ich die Wiederholungen weg und schleiche mich hinaus. Neben meinen Stuhl lege ich eine Kotztüte, nur für den Fall. All diese Vorkehrungen geben mir Sicherheit.

Es kommen sehr viele Menschen, die sich mit ihren Yogamatten in den gemütlich beleuchteten, von Stühlen freigeräumten Konzertsaal legen.


Die Stimmung: Andächtig. Mein Herz: schlägt. Mein Schmerz: vergessen.


Wir gehen auf die Bühne, die keine ist, weil wir uns im ganzen Konzertsaal verteilen. Das große Licht geht aus, nur die Person, die gerade spielt, bekommt einen Spot mit warmem Licht. Als meine Kommilitonin ihre Sätze aus der ersten Suite spielt, ziehen Bilder aus meinem Leben an mir vorbei. Ich habe diese Stücke auch gespielt, im Alter von zwölf Jahren. Ich sehe mich selbst, wie ich übe und übe, wie diese Stücke mir so schwer vorkommen. Immer wieder neue Erfahrungen. Es gab Lehrerinnen, die mich zum Weinen brachten, Juroren, die mein Tempo kritisierten; Lehrer, die danach mein verwundetes Herz verarzteten, Freunde, die mir zuhörten und sich berühren ließen. Die Zeit verging und ich wuchs mit meinen Aufgaben, übte mich in Geduld und fasste neues Vertrauen in das Leben.


Jetzt bin ich dran. Bogen auflegen, Hand entspannen, Tempo vorstellen, loslegen – zaubern. Courante. Ich erzähle eine Geschichte: Ich sehe, wie sie hin und her rennt, voller Panik. Will sie hierhin, will sie dorthin? Niemand kann es wissen. Zwischendurch immer wieder ein Anflug von purer Lebensfreude. Zurück in der Gegenwart nehme ich wahr: Ich spiele hier gerade wirklich. Trotz aller Widrigkeiten habe ich JETZT die Chance, einen Teil von mir in diesen wundervollen Raum zu geben. Die Chance ist JETZT und ich nutze sie. Mich ergreift ein Gefühl, dass ich vor einiger Zeit schon in unvollkommene Worte gefasst habe:




Sarabande. Sie hebt meine tiefsten Gefühle aus dem Abgrund heraus und verwandelt sie in einen schwer fassbaren Sound. Das Menuett, dem ich nur zuhöre, lässt mich eine unbekannte Eleganz spüren, während ich versuche, das Ehrenadrenalin auf dem gleichen Level zu halten. Gigue – noch ein letztes Mal für heute tanzen. Viel zu schnell vorbei, mein Licht geht aus. Ich atme aus, was für ein Wunder habe ich geschafft und geschaffen.


Über mir höre ich begeistertes Prélude, kuschle mich ein und lasse mir von der Musik die Seele massieren. Ich fühle mich wohl in meiner Haut. All die Klänge sind auf eine ganz subtile Art intensiv. Jetzt ziehen Bilder, vielleicht aus der Zukunft, an mir vorbei. Mich überkommt eine Ahnung, dass ich noch viel leisten kann und der Wunsch, immer weiter Kunst zu machen, ohne mich zu sehr festzulegen.


Bald ist es schon vorbei, das Licht geht langsam wieder an. Wir schauen uns um, kommen wieder an und spüren: Ach ja, wir liegen im Konzertsaal auf Yogamatten! Wohin genau sind unsere Seelen gerade gereist? Aus der Mitte beginnt der Applaus und er hört gar nicht wieder auf. Eine Frau blickt mich an: „Das war das Schönste, das ich je gehört hab!“ Ich lege die Hände auf mein Herz, verbeuge mich. Wir Cellistinnen überschütten uns gegenseitig mit Komplimenten und mein Hoch ist da. Was für ein Weg ist es immer wieder mit der Musik. Es ist der schönste Weg und nicht der Leichteste …


Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn die Geschichte hier enden würde. Aber ich fühle mich verpflichtet, zu erwähnen, dass die Tage danach sehr schwierig wurden. So viel Schmerz, Erschöpfung. Ich erholte mich schneller als erwartet, während Fragmente der Bachsuiten in mir nachhallten. Nach ein paar Tagen war ich körperlich und mental wieder auf meinem normalen Level. Es bleibt die Frage, wie lange ich den Zustand halten kann? Die nächste Entspannungsphase mit ein paar freien Tagen am Stück werde ich zum Ausgleich einplanen.


Wie viel Schmerz ist die Kunst uns wert? Wie viel Schmerz vermag sie zu heilen? Wie viel Schmerz verursacht das Fehlen von Kunst in unserem Leben?


Leben ist Schmerz. Leben ist Kunst. Schmerz wird sichtbar in der Kunst, verliert seine Macht. Kunst entsteht aus Schmerz. Nicht nur, auch aus Schönheit.


Manche Fragen können nicht final und erst recht nicht allgemeingültig beantwortet werden. Doch der Weg zur Antwort hält mehr Schätze bereit, als ich mir je hätte erträumen können.


 

Fotos: Elfriede Liebenow

Design: Tobias Ritschel


Teresa Gleiniger, 23, studiert Instrumentalpädagogik mit dem Hauptfach Cello bei Tine Schwark in Osnabrück. Konzertrausch im Kontrast zu ruhigen Momenten in der Natur und die Beobachtung des Lebens inspirieren sie zu ihren Texten. Die gebürtige Hamburgerin interessiert sich besonders für interdisziplinäre Formate, die die Künste Literatur und Musik miteinander verbinden.


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