Wir kannten uns schon ewig viele Jahre, die meiste Zeit davon begleiteten wir uns aber eher im Stillen, und zwischen einigen guten Gesprächen, geschichtsträchtigen Partys und nur halb in Erinnerung gebliebenen Abstürzen verloren wir uns auf dem Weg in die Erwachsenenwelt immer mal auch ein wenig aus den Augen. Bis wir schließlich auf die Idee kamen, uns ganz absichtlich und bloß zu zweit zu treffen.
Eigentlich hatten wir vor, im Park herumzuhängen und eigentlich machte ich gerade eine Pause vom ständigen Saufen. Allerdings stellten wir fest, dass CSD war und, naja, was sollten wir tun, trafen wir uns eben da. Als ich dich sah, hielt ich noch ein alkoholfreies Bier in der Hand, fürs Protokoll, entschied dann aber halb aus Freude, halb aus Unsicherheit und Aufregung, eine Pause von der Pause vom ständigen Saufen einzulegen (ein Schummel-Tag war eh erlaubt, ganz offiziell). Wir kauften also Sekt und Wein, setzten uns irgendwo etwas abseits hin und weil es viel zu einfach gewesen wäre, sich nach ein bisschen oberflächlichem Gerede in die Besinnungslosigkeit zu trinken und zu tanzen, redeten wir lieber ernsthaft miteinander. Es ist in all den Jahren nur selten wirklich tiefsinnig zwischen uns geworden und doch suchten wir oft nach Substanz, wenn wir uns sahen. Du hast mir von deiner Zeit in der Tagesklinik erzählt und ich dir vom Suizid eines guten Freundes. Wir schwiegen miteinander und weinten beinahe.
Obwohl wir uns beide wirklich darauf gefreut hatten, verpassten wir Tokio Hotel, schafften es erst kurz nach Mitternacht zur Bühne. Dort wurde aber noch getanzt und wir tanzten mit, lachten, lernten Menschen kennen und tanzten vor allem, tanzten uns allerlei Gefühle aus dem Körper, was befreiend war, befreiender als vieles in den letzten Monaten. Später zogen wir noch weiter in irgendeinen Club, wir tranken und sangen, wir begannen uns zu küssen, wir tanzten und tranken und küssten uns weiter. Mittags gegen Zwölf lagen wir bei dir im Bett. Du hast dich auf mich gesetzt, ich dir dein Shirt ausgezogen.
Es ist mir nicht nur wichtig, ich finde es überfällig und alternativlos, ein zeitgemäßer, selbstreflektierter Mann zu werden. Ich höre zu, lese, beobachte. Ich diskutiere mit Menschen wie meinem Vater und meiner Mutter, die mit einer klar voneinander abgegrenzten Rollenverteilung groß geworden sind und diese nun verteidigen.
Ich höre zu, lese, beobachte, bis hierhin hat das nicht gereicht.
Weshalb ich das so sehen muss?
Du hast dich auf mich gesetzt, ich dir dein Shirt ausgezogen und mein erster Gedanke dazu war: 'Du hast jede Menge Männer vor mir gehabt, einige davon kannte ich flüchtig, meist eher prollige Typen'.
Daraus schloss ich dann, was du für guten Sex halten würdest und orientierte mich daran, leckte dich eine ganze Weile, wechselte die Stellungen, spielte eine Rolle, um dir zu gefallen, mindestens, um dir zu genügen. Es war nicht hart, aber romantisch war es auch nicht. Es war nicht unterkühlt, aber liebevoll und aufmerksam und umsichtig war es auch nicht. Es passte nicht zu uns an diesem Abend und in dieser Nacht.
Zwei Tage später trafen wir uns in einem Park. Da hast du mir von deinen Schwierigkeiten erzählt, momentan überhaupt Sex zu haben. Du hast mir erzählt, dass du es nicht gut aushältst, geleckt zu werden, dir in der Situation aber auch nichts anmerken lassen wolltest, dass es immer wieder schön war, aber du dich manchmal fragst, weshalb es sich nie so verbindend anfühlt, wie es doch eigentlich von der Idee her ist.
Wir haben seitdem romantisch, liebevoll, aufmerksam und umsichtig miteinander geschlafen.
Und doch:
Als unser körperliches Miteinander begann, habe ich in dir eine Frau gesehen, der ich eine Vergangenheit andichtete, um herauszufinden, wie ich ihr gefallen könnte. Auch, weil ich es gut machen wollte. Aber gut für dich? Wohl eher gut als Mann.
Es gab seitdem tausend gute Gespräche zwischen uns, doch in dieses eine habe ich mich am meisten verliebt. Weil es mir einen tiefen, kritischen Blick in mich selbst hinein erlaubt hat und weil wir uns beim Sex inzwischen wirklich begegnen, als die, die wir sind, ohne Zwischentöne, Spielereien und Rollenverteilungen.
Es gibt auch tausend gute Gründe für die Relevanz des Feminismus und die Notwendigkeit eines Endes des Patriarchats.
So ungern ich mir das eingestehen mag: Diese Geschichte hier ist eine davon.
K.K., 31 Jahre, Papa dreier Kinder, Erzieher und Sozialarbeiter, in einer Psychiatrie für Kinder und Jugendliche arbeitend, Freund von Lasagne, kein Freund von Rosenkohl, ach und in Berlin wohnend, seit eh und je.