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Tobias Ritschel

Susan, 30



Ich bin letztes Jahr 30 geworden. Das war für mich tatsächlich ein größerer Einschnitt, als ich es erwartet habe. Es war ein Moment, in dem ich mal darauf zurückgeschaut habe: Was habe ich bisher eigentlich erreicht? Was waren meine Vorstellungen als Kind, als Jugendliche, wo ich mit 30 stehe?


Ich hatte immer im Kopf: Mit 30, das ist ein Zeitpunkt, wo du wirklich dein Leben im Griff haben solltest. Da sollte dann alles in geordneten Bahnen verlaufen, privat und beruflich.

Ich hatte erwartet, dass ich dann einen langjährigen Partner an meiner Seite habe und dass da zumindest bereits über das Thema Kinder und Familie gesprochen wird. Dass ich ein eigenes Haus habe. Ich komme relativ vom Land, da waren das die großen Themen. Und die, die dageblieben sind, leben das auch heute so.

Ich stehe heute komplett woanders - und damit bin ich sehr glücklich.


Ich bin jemand, der sehr gut mit Dingen abschließen kann und sehr gerne in die Zukunft schaut. Ich bin relativ häufig umgezogen in meinem Leben, ich habe in Lüneburg und in Mönchengladbach studiert, habe auch zwischendurch in Berlin gewohnt. Ich habe meine Familie und Freunde seit meiner Kindheit, die mir Halt geben, und so war es mir immer wieder möglich, nochmal neu anzufangen, andere Wege zu gehen.


Trotzdem war es schon so, wenn ich dann an einen neuen Ort gekommen bin, einen neuen Job angefangen habe, dass ich die Hoffnung hatte, es würde jetzt kommen, dieses Gefühl von „angekommen sein“. Ich bin gestartet mit dem Gedanken, vielleicht könnte es klappen, zumindest für einige Jahre, dass ich mir hier etwas aufbauen kann, ich mich hier wohlfühle. Wenn dann aber für mich feststand, dass es nicht so ist, ich nicht lange bleiben würde oder – in Beziehungen – dies doch nicht der Mann war, den ich heiraten würde, dann war es schon erstmal schwierig für mich, den „Cut“ zu machen. Ich bin dann doch noch eine Weile geblieben, in der Hoffnung, dass sich noch etwas ändert. Aber der Moment des Abschieds war für mich jedesmal eine große Erleichterung und auch mit großer Hoffnung verbunden – dass es beim nächsten Mal klappt, und dann dieses Gefühl des Angekommenseins wirklich kommt.


Eine wirkliche Krise hatte ich während der Coronazeit. Ich hatte mich für einen Beruf im kulturellen Bereich entschieden, der, wie sich gezeigt hat, wenig krisensicher war. Ich begleitete als Tourneemanagerin ein Musical, und die Tournee wurde von jetzt auf gleich abgebrochen. In der Zeit war es dann schon so, dass ich meinen Weg bezweifelt habe, ob ich denn mit 19 mit meinem Studium der Kulturwissenschaften überhaupt in die richtige Richtung gegangen bin. Schon damals, auch noch in meinem Master des Kulturmanagements, wurden uns schlechte Berufschancen prognostiziert, auch wenn zu der Zeit von Corona noch keine Rede war. Ich dachte an eine gute Freundin, die im Finanzamt arbeitet und diese Existenzängste nicht kennt. Da habe ich überlegt, vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, um nochmal einen ganz neuen Weg einzuschlagen. Ich habe mich aber dagegen entschieden und bin heute auch sehr froh darüber.


Stattdessen habe ich den Arbeitgeber gewechselt und bin in einen etwas krisensichereren Bereich gegangen, indem ich jetzt im Büro arbeite. Dafür bin ich vor kurzem nochmal umgezogen. Wieder komplett die Zelte abzubrechen war ein großer Schritt für mich, den ich aber keinesfalls bereue.

In dieser Zeit hat mir das Schreiben sehr geholfen. Das war für mich immer eine Möglichkeit, viel zu verarbeiten und auch auf diese Art mal andere Wege einzuschlagen, ohne eine Sicherheit aufzugeben. Das Gefühl zu haben, etwas erschaffen zu haben, ist etwas, das mich in meinem Leben sehr motiviert.


Aktuell habe ich mein Leben komplett darauf ausgerichtet, dass ich ohne Partner lebe. Ich sage nicht, dass ich ein Familienleben für die Zukunft ausschließe, aber momentan ich bin als Single sehr glücklich.

Meine Wochenenden sind verplant: Ich bin großer Musicalfan und habe meine Freunde, mit denen ich durch Deutschland reise, um Musicals zu besuchen. Die letzte Woche habe ich in London verbracht und mir dort neun Musicals angesehen! In meiner neuen Wohnung habe ich mir außerdem ein Schreibzimmer eingerichtet, und hier arbeite ich momentan an meinem Debütroman.


Die häufigen Veränderungen in meinem Leben - ich glaube, das war etwas, das ich brauchte in meinen Zwanzigern. Ich hoffe aber ein bisschen, dass das jetzt auch vorbei ist, dadurch, dass ich jetzt so gefestigt in dem bin, was ich möchte, wo ich arbeite und lebe und wer um mich herum ist. Ich glaube, dass es notwendig war, um da zu sein, wo ich jetzt bin und um mir auch sicher zu sein, dass ich hier hin gehöre.


Mittlerweile denke ich auch, dieses Selbstzweifeln, dieses nachts wachliegen und sich fragen, habe ich hier die richtige Entscheidung getroffen und wär nicht alles besser anders, ist komplett kontraproduktiv. Ich denke, dass sich der Weg jedes Einzelnen, vielleicht nicht von selbst, aber mit ein bisschen Anstoßen dann doch zeigt. Und wenn es dann so ist, dass man mit 50, 60 nochmal den Beruf wechselt oder nochmal auf Partnersuche geht oder feststellt, dass man alleine glücklich ist - was solls? Es gibt ja keinen Zeitpunkt, auch nicht den 30. Geburtstag, wo man sich festlegen sollte zu sagen, genau so muss mein Leben jetzt für die nächsten 50 Jahre laufen und dann ist alles gut. Der Weg ist nicht vorgegeben und es werden sich immer neue Wege auftun.


Tatsächlich kamen mit dem 30. Geburtstag aber auch gleich die ersten grauen Haare. Da habe ich dann schon gedacht: Ein Jahr hätte das ja noch warten können!


 

Fotos: Susan Faber

 

Der Text entstand aus einem Interview vom 27.05.23


Die Zeit der Veränderung und des Neuanfangs verabeitet Susan Faber auch in ihrem Text "Neue Wege" im Quarterl1fe-Blog.

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