Mit 18 bin ich aus dem Münsterland nach Köln gezogen. Ich wollte damals Journalistin werden, aber was die Studienwahl anging, war ich erstmal etwas überfordert von den vielen Möglichkeiten. Ich kam gerade aus der Schule und hatte das Gefühl, dass mir noch neue Perspektiven fehlen, und dass ich erst noch Erfahrungen machen möchte, bevor ich mich für einen Studiengang entscheide. Ich habe dann zunächst ein freiwilliges soziales Jahr, ein FSJ Kultur, bei einem Radiosender gemacht. Dort habe ich die Arbeitswelt kennengelernt, die ich mir vorstellen konnte, und nebenbei habe ich die Zeit genutzt, um in Köln anzukommen. Diese Phase der Umorientierung war anfangs nicht ganz einfach: Ich hatte zum ersten Mal einen eigenen Haushalt zu führen, hatte im FSJ im Prinzip einen Vollzeitjob, und gleichzeitig war da die Herausforderung, nach meinem Umzug neue Freund*innen zu finden.
Weil ich mich in Köln total wohl gefühlt habe, habe ich dann dort im Umkreis nach Studiengängen gesucht und mich dafür entschieden, Politik, Gesellschaft und Philosophie in Bonn zu studieren. Im Anschluss habe ich mein Masterstudium des professionellen Schreibens in Köln begonnen.
Bezeichnend für die Studienzeit war für mich mein persönliches Hinterfragen von Normen - was zum Beispiel partnerschaftliche Normen betrifft, aber auch was die Arbeitswelt angeht. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, es gibt so Vieles, was mir gesellschaftlich vorgelebt wird. Ich hab angefangen, das zu hinterfragen und auch zu dekonstruieren, ob das für mich so funktioniert, wie es gesellschaftlich erwünscht ist.
Bei der Quarterlife Crisis geht es für mich viel um Orientierungslosigkeit und auch darum, meine eigenen Werte zu definieren. Ich habe das Glück und Privileg, dass ich sehr viele Möglichkeiten habe, und gleichzeitig musste ich für mich selber lernen, was gerade auch für Frauen ein großes Thema sein kann: Nur weil ich alle Möglichkeiten habe und alles sein kann, heißt das nicht, dass ich auch alles sein muss. Dieser Gedanke, allen Anforderungen gerecht zu werden, der hat schon Druck ausgelöst. Eine wirklich große Krise in dem Sinne habe ich noch nicht erlebt, aber es gab bestimmte Themen, die mich immer wieder beschäftigt haben.
Zum Beispiel wie Partnerschaft vorgelebt wird, also dass romantische Zweierbeziehungen immer sehr in den Lebensmittelpunkt gerückt werden. Gerade in einer Phase wie der Studienzeit, in der ich mich gefragt habe: Wie möchte ich eigentlich mein Leben ausrichten? - war das ein ganz zentrales Thema.
Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass romantische Beziehungen fragiler sind und es sich Umstände ergeben können, wegen denen sie wegbrechen. Das ist mir mit Freundschaften so nicht passiert. Ich habe gemerkt, dass für mich Freundschaften als soziales Netz sehr gut funktionieren, und in der Phase, in der ich gerade bin, ist es mir wichtiger, mich um Freundschaften zu kümmern als eine Partnerschaft einzugehen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass wir in der Gesellschaft Freundschaften gar nicht so sehr wertschätzen. Es wird einem vorgelebt, es läuft auf Ehe und Kinder hinaus, und dadurch gehen glaube ich auch ab einem gewissen Alter viele Freundschaften kaputt. Das kann ich mir für meine Zukunft nicht vorstellen oder würde es mir zumindest anders wünschen.
Wenn wir uns die vorigen Generationen ansehen, dann ist es noch gar nicht lange so, dass Frauen gesellschaftlich so viele Möglichkeiten haben. Aber - ganz abgesehen mal davon, dass es noch immer sexistische Diskriminierung gibt – für mich war es wichtig festzustellen: Ich kann alles sein, ich muss es aber nicht. Ich muss nicht die große Karriere hinlegen und eine Familie gründen, kreativ, sportlich usw. sein. Das sind viele Themen, die nebeneinander aufgemacht werden, und es ist mir nicht möglich, da allen Erwartungen gerecht zu werden. Zum Glück habe ich eine Familie, die unterstützt, dass ich nach meinen Vorstellungen lebe. Mit meiner Mutter kann ich z.B. gut über die Veränderungen in der Arbeitswelt reden und über die Herausforderung, Job und Privatleben unter einen Hut zu bringen.
In den letzten Jahren hatte ich neben dem Studium eine Reihe verschiedener Jobs, Praktika und ehrenamtlicher Tätigkeiten. Das war zum Teil auch anstrengend. Aber im Nachhinein betrachtet sehe ich das überwiegend positiv. Ich hatte sehr viel Zeit und sehr viele Möglichkeiten, viel auszuprobieren und ins Ausland zu gehen und dadurch im Studium sowohl in Köln als auch in Spanien viele Leute kennenzulernen, viele Erfahrungen zu machen. Das ist eine Zeit, die wertvoll ist und mich auch sehr geprägt hat. Und ich wertschätze diese Lebensphase, in der ich eben nur für mich selbst verantwortlich und unabhängig bin.
Und dennoch merke ich, dass ich nun, am Ende meines Masterstudiums, in einer Umbruchphase bin. Mein Freundeskreis teilt sich in diejenigen, die wie ich ihre Unabhängigkeit genießen und andere, die schon seit langer Zeit in einer festen Beziehung sind. Auch beim Feiern wird der Umbruch deutlich. Das Feiern hing für mich eng mit dem Studierendenleben zusammen, aber dann hat es einen Einschnitt erlebt mit Corona. Danach waren die Leute auf den Partys, auf denen wir waren, plötzlich jünger als wir. Da kam die Frage auf: Passen wir hier überhaupt noch hin?
Ich merke aber auch, dass ich mir jetzt, beim Übergang vom Studium in die Berufswelt, zum ersten Mal so richtig Gedanken über meine Anschlussperspektive mache. Das Schreiben meiner Masterarbeit wird noch etwa ein halbes Jahr dauern. Ich bin schon dabei, mir Stellenausschreibungen anzugucken und auch schon Bewerbungen zu schreiben, aber das sind zum Teil auch noch Gedankenexperimente. Wenn ich eine Ausschreibung sehe, frage ich mich: Kann ich mir das so vorstellen mit den Arbeitsbedingungen? Was möchte ich eigentlich? Möchte ich Vollzeit arbeiten, so wie es ja oft vorgelebt wird, oder kann ich mir auch eine Teilzeitarbeit vorstellen?
Gerade die jungen Leute haben ja eine neue Einstellung zur Arbeit, eher weg vom Vollzeitjob, und ich finde es gut, die eigenen Grenzen zu kennen und zu wissen, unter welchen Bedingungen ich gute Arbeit leisten kann. Der aktuelle Fachkräftemangel gibt uns auch andere Verhandlungsmöglichkeiten und ich denke, dass das für den Arbeitsmarkt eine wichtige Veränderung sein wird.
Momentan hoffe ich, dass mit meiner Masterarbeit alles gut klappt und ich dann einen guten Einstieg in die Berufswelt finde. Dass ich einen Job finde, in dem ich mich wohl fühle, bei dem ich anwenden kann, was ich im Studium gelernt habe, und der zu mir passt.
Der Text entstand aus einem Interview vom 03.05.2023.
Ihre Erfahrung des Umbruchs verarbeitet Alina te Vrugt zusammen mit Marie Menke in Ihrem Quarterl1fe-Text "Golden Twenties".
Foto: Tobias Ritschel
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